Fechten
Geschichte
Wie es anfing und was daraus wurde
Vom eigentlichen Anfang 1905 ist leider nur sehr wenig bekannt, weil Unterlagen fehlen. Während der beiden Weltkriege 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 und noch länger war Fechten nicht möglich. Zwischen den Kriegen hatte sich die Fechtabteilung einmal aufgelöst, nachdem durch einen Unfall jemand ein Auge verloren hatte.
Wer jedoch und aus welchen Gründen 1905 gerade hier innerhalb eines Turnvereins eine Fechtabteilung gründete, konnte ich nicht herausfinden. Gonsenheim war damals eine kleine selbstständige Gemeinde mit vorwiegend katholischer bäuerlicher Bevölkerung, Handwerkern, Arbeitern und kleinen Gewerben, nicht gerade der Ort für eine Randsportart wie Fechten.
In der Zeit um 1900 waren jedoch in zahlreichen Turnvereinen Fechtabteilungen gegründet worden, hatte doch Turnvater Jahn mit dem Friesenkampf auch Fechten eingeführt. Sie bildeten im Deutschen Turnerbund eine eigene Organisation mit eigenen Wettkämpfen neben den selbstständigen Fechtclubs.
Ich bin jetzt 74 Jahre alt und kam 1952 als 16-Jähriger zum Fechten, als dies nach dem 2. Weltkrieg wieder erlaubt war. In der TGM bin ich seit über 50 Jahren und somit Ehrenmitglied.
Bei zurückliegenden Vereinsjubiläen war bisher auch immer die Geschichte der einzelnen Abteilungen gefragt. Vom Fechten gab es aber leider nur wenig Material.
Für die TGM und nachfolgende Fechterinnen und Fechter erscheint es mir daher wichtig, die Geschichte der Fechtabteilung nach dem Krieg aufzuschreiben, soweit ich die Zeit überblicken kann. Über 40 Jahre war ich als Fechter, als Vorstandsmitglied im Fechterbund Rheinhessen, Abteilungsleiter Fechten in der TGM, dort gleichzeitig Kassierer, Waffenwart, Übungsleiter und als Organisator mit allem, was sonst mit Fechten verbunden ist, in die Fechtabteilung eingebunden. Regeländerungen, die Einführung neuer Sicherheitsvorschriften und Elektrotechnik habe ich in dieser Zeit miterlebt und somit weit mehr Überblick als die Fechterinnen und Fechter der ersten Jahre, die nach der Wiedergründung nur kurz oder wenige Jahre dabei waren.
Vorab will ich jedoch klarstellen, daß ich aus wohl überlegten Gründen weitgehend auf Namen und Jahreszahlen verzichte. In wenigen Jahren können Leser mit Namen kaum noch etwas anfangen und genaue Zeitangaben sind bezogen auf die Vergangenheit im Rahmen dieser Darstellung auch nicht sehr wichtig. Auch sportliche Erfolge einzelner Fechterinnen und Fechter und Mannschaften will ich nicht herausstellen. Erfolgreich waren wir im offiziellen Wettkampfbereich ohnehin nur in unserem damaligen Landesverband Rheinhessischer Fechterbund.
Die Entwicklung der Fechtabteilung ist aber ohne Kenntnis der Lebensverhältnisse nach dem 2. Weltkrieg nicht zu verstehen. Die Voraussetzungen für Aufschwung und Entwicklung aller Lebensbereiche hatten ihre Ursache in der damaligen Zeit. Auf einmal waren für Sport und somit auch für Fechten begeisterungsfähige junge Leute vorhanden, gab es doch sonst nur sehr wenig zur Freizeitgestaltung. Es ist daher notwendig, neben dem sportlichen Bereich die gesellschaftlichen Umstände zu schildern.
Im Herbst 1952 kam ich aus Schottland zurück, wo ich nach meiner Schulzeit ein halbes Jahr auf einer Farm gearbeitet hatte. Nach meiner Rückkehr erklärten meine Freunde, sie gingen jetzt zur TGM fechten. Dort gebe es eine neue Abteilung und ich solle doch mitkommen. An Kämpfchen aller Art waren wir schon immer interessiert und ich ging also mit.
Dort traf ich auf eine Gruppe junger Männer und Frauen. Für uns waren sie, so um die zwanzig Jahre schon recht alt. Alle waren Anfänger und wurden von Josef Andres trainiert, einem Fechter aus der Vorkriegszeit im mittleren Alter. Er hatte die Abteilung wiedergegründet, nachdem dies erlaubt war, hatte doch der Alliierte Kontrollrat alle Vereinsaktivitäten, auch die von Sportvereinen verboten.
Die Besatzungsmächte erteilten dann nach und nach für einzelne Sportarten die Erlaubnis, wieder aktiv zu werden. Die Fechter in Rheinhessen, der französichen Besatzungszone, kamen sehr spät dran. Vermutlich dachte man bei Fechten an eine Art vormilitärische Ausbildung, einen bekannten SS-Fechtclub oder sogar an Reinhard Heydrich, der ein guter Fechter gewesen sein soll. Er war Leiter des Reichssicherheitshauptamts und wurde als Naziverbrecher bei einem Racheattentat getötet.
In kurzer Zeit gründeten sich im Bereich des Sportbundes Rheinhessen weitere Fechtabteilungen oder wurden wieder eröffnet. Im neuen Fechterbund Rheinhessen gab es außer uns noch Mainzer Fechtclub, MTV 1817 Mainz, TV Alzey, TG Worms, TuS Ober-Ingelheim, TG Osthofen, TV Nierstein und TV Bingen. Bei Meisterschaften kamen von dort in der Folgezeit unsere Gegner.
Anfang der 1950er Jahre gab es eine allgemeine Aufbruchstimmung aus einfachsten Lebensverhältnissen und Zwängen der Kriegszeit. Die Währungsreform lag noch nicht lange zurück, die Mangelwirtschaft war vorbei und mit Geld konnte man Sachen kaufen, die vorher überhaupt nicht angeboten wurden. Löhne und Gehälter blieben leider zunächst auf kümmerlichem Niveau. Außer Kino gab es kaum Unterhaltung, kein Fernsehen, Musik nur vom Radio, selten von Schallplatten. Private Autos und Telefonanschlüsse waren sehr große Ausnahmen.
Das Leben der Jugendlichen war ganz auf Befreiung ausgerichtet, nachdem in den letzten Kriegsjahren die Mütter von den Kindern ständigen Aufenthalt in der Nähe der Wohnung verlangt hatten, damit sie bei Bombenalarm schnell im Luftschutzkeller sein konnten. Dieser Zwang war plötzlich nicht mehr da, und es eröffnete sich die große Freiheit. Andere Zwänge blieben. So gab es noch konfessionell nach Geschlechtern getrennte Schulen. Mädchen war das Tragen von Hosen in der Schule untersagt.
Wirtschaftlich war Fechten in dieser Zeit nicht gerade die optimale Sportart für uns, benötigte man doch auch damals schon recht teure Ausrüstung und die Eltern hatten dafür kein Geld.Im Gegensatz zu anderen Sportarten, bei denen man nur Badehose und Kappe brauchte oder Laufschuhe und Turnhose benötigte, war Fechtausrüstung von Anbeginn vielfältig und teuer.
An Ausrüstung gab es in der TGM aber nur eine große Holzkiste in den Maßen eines Überseekoffers mit Tragegriffen an den Stirnseiten. Aus der Vorkriegszeit enthielt sie einige italienische und französische Floretts, wenige Masken, bei denen das Drahtgeflecht an Fliegendraht erinnert, einige Säbel und Degen. Die Waffen waren mechanisch und alles ziemlich vergammelt.
Richtig fechten konnten wir ohne vollständige Ausrüstung also nicht und mussten uns deshalb Sachen untereinander ausleihen. Für uns Anfänger zwischen 14 und 17 Jahren war ohnehin in erster Linie Beinarbeit angesagt, denn die "alten" ließen sich nur widerwillig dazu herab, mit uns einmal richtig zu fechten. Ein Gefecht hieß bei uns "Asso" – französisch "Assault".
In kurzer Zeit kamen mehr Interessierte und die Abteilung wuchs. Oft waren es Geschwister, so dass sich richtige Familienclans bildeten. Es gab allerdings damals auch noch mehr Kinder in den Familien. Trainingszeiten waren mittwochs und samstags bis 22.00 Uhr und anschließend gingen die Älteren zum Stammtisch. Wir Jungen waren in dieser Zeit so scharf auf Fechten, dass wir uns zum Fechten am Sonntagmorgen in der Halle verabredeten. Mittags nach dem Essen trafen wir uns dann wieder im Sonntagsoutfit in Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Wir gingen spazieren und landeten in Kneipen zum Bier, Würfeln und Kartenspiel. Mit sehr wenig Taschengeld von einer bis zwei Mark die Woche - heute 50 Cent bis 1 € - spielten wir um Pfennige. Ein Bier kostete ca. 30 Cent. Beim ersten Umbau unserer Halle – sie wurde an der Bühnenseite vergrößert – haben wir sogar im Winter gefochten, obgleich nicht geheizt war und die Rückwand der Halle fehlte. Sozusagen im Freien mussten wird uns durch Bewegung warmhalten.
Wenn ich von "wir" spreche, meine ich als sogenannten harten Kern 5 bis 10 junge Männer. Sie waren Grundlage und Zentrum des Fechtbetriebs und seinem Umfeld im Sport und in der Freizeit.
Die Anschaffung von Ausrüstung blieb sehr dringlich und wir nutzten die Gelegenheit, an Fastnachtveranstaltungen als Bedienung etwas Geld zu verdienen.
Lange Zeit waren die Voraussetzungen in der Halle schlecht. Der sehr glatte Holzdielenboden wurde durch Tanzveranstaltungen regelmäßig immer glatter. Im Winter wärmte die Ofenheizung nicht ausreichend. Unsere Klingen mussten wir am Ofen anwärmen, damit sie nicht zu schnell abbrachen.
Die älteren Fechterinnen und Fechter, eine Gruppe von ca. 15 Personen, hatte nach wenigen Jahren fast völlig aufgegeben. Der mühselige sportliche Weg war ihre Sache nicht, mehr jedoch der gesellschaftliche Teil. Davon war Walter Becker allerdings ausgenommen. Er war Abteilungsleiter, später Kassenwart im Verein und im Landesverband und letztlich TGM-Vereinsvorsitzender und Präsident im Fechtverband. Die Abteilung hatte dadurch immer einen guten Interessenvertreter. Sie wuchs schnell. Manche Fechter brachten ihre Freundinnen mit und diese dann wieder ihre Freundinnen. Für Mädchen im Teenageralter war Sport von besonderem Reiz, konnte man doch abends bis spät von zu hause abwesend sein.
Regelmässig fanden jährlich Anfängerprüfungen statt, wo Sprüche auswendig aufzusagen waren, wie: Fechten ist ein Kampf zweier Gegner mit gleichen Waffen zu gleichen Bedingungen, bei denen es auf die Kraft, Geistesgegenwart und Geschicklichkeit eines jeden Einzelnen ankommt. Die Aussicht auf Erfolg ist bei beiden gleich.
Nach bestandenen Anfängerprüfungen gab es Aufstiegskämpfe in höhere Landesleistungsklassen. Sportlich brachten neue Schutzvorschriften Veränderungen bei Masken und Kleidung und somit immer wieder neue Kosten. Wie ein roter Faden zog sich dies durch die Jahrzehnte und führte auf Turnieren zu Ärger, weil immer mal wieder ein Teil nicht der neuen Vorschrift entsprach.
Sehr schnell fanden wir heraus, dass wir von der TGM das Florettfechten favorisierten, bei weitgehendem Verzicht auf Degen. Letzteren überließen wir dem Mainzer Fechtklub mit der Folge, dass wir wie im Abonnement im Männer-Florett und durch die Mannschaft wiederholt Rheinhessenmeister wurden. Degen sahen wir als nicht anspruchsvoll genug an und er wurde wie auch Säbel wenig gefochten. Viele Jahre lang hatten wir zwei gute Männer-Florettmannschaften.
Unsere Berechtigung zur Teilnahme an Deutschen Meisterschaften konnten wir allerdings nie in Erfolge umsetzen. Über die Jahre kamen wir dadurch immerhin in viele Städte in Westdeutschland, in denen wir aber meist nur die Turnhallen sahen. Es gab nur einen noch kleineren Landesverband, so dass Landesmeister aus Rheinhessen für die anderen keine Konkurrenz darstellten. Wir wurden regelmäßig Letzte, bestenfalls Zweitletzte. Im Einzelfechten gelang hin und wieder der Aufstieg in die nächste Runde sogar bis in die letzte Vorrunde aber nie bis ins Finale.
Eine Besonderheit war das Interesse von einzelnen Soldaten der US-Streitkräfte, die hier oder in der Nähe stationiert waren. Sie wurden Vereinsmitglieder und vermittelten Fechtvorführungen in den Offiziersclubs in Kasernen der Umgebung.
Bis Anfang der 1960er Jahre hatte kaum jemand ein Auto. Man musste daher mit Straßenbahn, Bus und Zug zu Turnieren fahren, sogar weite Strecken zu den Deutschen Meisterschaften, Turnfesten oder den Bergfesten in Ingelheim und auf der Landskron in Oppenheim. Die Unbequemlichkeit der Reisen wurde als normal empfunden und hingenommen und war gut für den Zusammenhalt.
Die Einführung des Elektrofechtens brachte eine extreme Veränderung, man kann sagen eine neue Sportart. Bis dahin wares Aufgabe von vier Kampfrichtern, im Gefecht die Treffer zu sehen und dem Obmann als gültig oder ungültig anzuzeigen. Die Kampfrichter wurden gewählt oder ernannt; wegen mangelnder Qualifikation oder Schiebung ein ständiges Ärgernis. Jetzt gab es durch elektrische Trefferanzeige endlich Klarheit; allerdings wieder hohe Kosten für die Anschaffung neuer Waffen. Da Spitzen- und Leitungstechnik anfällig waren, mussten ständig Waffen, Körperkabel und Kabelrollen repariert werden. Nur wenige Fechter waren zu diesen Arbeiten in der Lage und bereit, dafür Freizeit zu opfern. Anfangs führte schlechte Stahlqualität zu mehr Klingenbruch. Erst als dann eine neue Stahlart entwickelt war, traten Verbesserungen ein; allerdings mit wieder teureren Eratzklingen.
Die größere Abteilung, in manchen Jahren über 100 Mitglieder, brauchte dringend einen Trainer. Es kam nur ein externer in Frage und wir fanden Fechtmeister Borbonus aus Wiesbaden. Er lektionierte viele Jahre einmal in der Woche und wurde später von Fechtmeister Irany abgelöst. Unser Verein konnte allerdings die Kosten für die Trainer nicht übernehmen, so dass schon ab Ende der 50er Jahre alle Fechterinnen und Fechter monatlich 5.- DM als gesonderten Fechtbeitrag zu zahlen hatten bei einem Vereinsbeitrag von 1.- DM oder 1.50 DM. Dieser Zusatzbeitrag im Verhältnis zum derzeitigen Vereinsbeitrag hätte nach heutiger Kaufkraft sicher einen Wert von ca. 20.- €.
Wenn auch die besonderen sportlichen Erfolge ausblieben, so hatten wir doch durch Aktivitäten außerhalb des Sports großen Zulauf. Viel wurde gemeinsam unternommen. Wie beim Skisport, so wollte man nach jedem Turnier oder Freundschaftskampf in einer Art Apres-Fechten in Kneipen zusammensitzen, diskutieren und fachsimpeln. Es wurde gefeiert was immer zu feiern war. Es gab Partys oder Hausbälle dort, wo Eltern bereit waren, das Feld zu räumen. Tanzen zu Schmusemusik und heiße Rhythmen lockten Neugierige, die dann oft beim Fechten landeten. Man war im Sonntagsoutfit mit weißem Hemd und Krawatte und die Mädchen trugen weit ausgestellte Röcke, gesteifte Pettycoats und Nylons mit Strapsen. Strumpfhosen hatte man noch nicht erfunden.
Im Sommer war gemeinsames Baden im Rhein bei Budenheim oder an der Kiesgrube in Uhlerborn angesagt. Dorthin fuhr man mit dem Rad. An Ostermontagen war traditionell bei jedem Wetter Osterspaziergang nach Kiedrich im Rheingau. Es ging zu Fuß durch den Wald und mit dem Boot nach Walluf. In einer Gaststätte wurde gegessen, getrunken und getanzt, und abends ging es mit dem letzten Boot zurück, manchmal nach Verpassen mit dem Bus über Wiesbaden. Begeisternd waren bei gemeinsamen Kinobesuchen die neuen Mantel- und Degenfilme.
Unsere jährlichen Vereinsmeisterschaften mit Wanderpreisen fanden immer am Himmelsfahrttag statt in Verbindung mit Spargelessen. Da es unter uns Fechtern auch Landwirte gab, fuhren wir mit dem Fahrrad durchs Dorf und erbaten Spargelspenden. Wir hatten immer Erfolg und die Spargel wurden uns in unserem Stammlokal zu Schnitzel serviert.
Das besondere Markenzeichen der Gonsenheimer Fechter waren die Stammtische und der Zusammenhalt mit Vorbildcharakter innerhalb der TGM. Bei vielen anderen Vereinen ging man oft nach dem Training auseinander. Am Stammtisch konnte man dagegen trefflich streiten, fachsimpeln und auch singen. Nebenbei war das Glas Bier nach Schwitzen besonders erfrischend. Ungefähr 10 bis 15 Personen waren regelmässig dabei. Nach dem "Cafe Klein" wurde die "Neue Brauerei" und dann "Zum Gutenberg" Stammlokal. Dort kam es dann häufiger nach Mitternacht zum Rundruf des Wirts: "Auch der Gast macht sich strafbar", wenn es wieder einmal auf die Sperrstunde zuging. Begeistert wurde gesungen - eher laut als schön - meist Trink- und Fechtlieder, vorzugsweise "Die alten Germanen..." und "der Hamborger Veermaster", den man beim Deutschen Turnfest in Hamburg aufgeschnappt hatte. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich andere Gäste beschwerten.
Sportlich kam es nach Einführung des Elektro-Fechtens zu Veränderungen des Fechtstils. Der Kampf wurde schneller und es wurde fast nur noch mit Pistolengriff gefochten. Dadurch kam es zu athletischeren Bewegungsabläufen mit mehr Kraft. Paraden mit Handdrehung wurden nicht mehr trainiert und die italienische Fechtschule fand ihr Ende, nachdem schon vorher der französische Stil nicht mehr sinnvoll war. Im Wettkampfbetrieb war nun oft die funktionierende Technik entscheidend für den Erfolg, was im Gefecht zusätzliche psychische Belastung bedeutete; gegenüber vorher, also eine Verschlechterung.
Im Laufe der Jahre änderte sich die Zusammensetzung der Fechtgruppe dadurch, dass die jungen Männer sich zunehmend für Mädchen interessierten. Manchmal konnten sie ihre Freundinnen für Fechten begeistern, häufig blieb es aber bei lockerem Anschluss an die Abteilung. Zahlreiche Hochzeiten waren die Folge; jeweils mit Waffenspalier für das Brautpaar. Die Gemeinschaft Männergruppe hatte bald Auflösungserscheinungen.
Die Jahre 1960 bis 1980 brachten besondere Höhepunkte. Das 100jährige Jubiläum der TGM und die 2000-Jahr-Feier der Stadt Mainz waren Ereignisse, zu denen wir Turniere ausrichteten und dazu erstmals auch die Fechter unserer Partnerstädte Dijon und Watford/England einluden. Es kamen ca. 30 Personen, die für einige Tage privat untergebracht und verköstigt wurden. Trotz schlechter Französischkenntnisse entstand in der Begegnung eine aufregende und spannende Atmosphäre. Zum Gegenbesuch nach Dijon fuhr eine Gruppe von ca. 15 Personen mit dem Zug. Zum Supererlebnis wurde das 6-Gänge-Menue nach dem Empfang beim Bürgermeister.
Der nächste Gegenbesuch führte uns mit Zug und Fähre nach Watford. Die Reise mit Zwischenstopp in London war für alle auch wegen besserer Verständigung ein Erlebnis und der Aufenthalt in den Fechterfamilien sehr angenehm.
Zur 2000-Jahr-Feier hatte die Stadt Mainz alle Vereine zur Mitwirkung aufgefordert. Die Fechterinnen erhielten aus dem Theaterfundus lange Kleider aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, mit denen sie aufgeputzt durch die Stadt flanierten. Die Männer wurden zu Rittern in Rüstungen und in Kettenhemden und auch zu Kavalieren mit Degen. Alle hatten großen Spaß in diesen Kostümen.
Ein Ereignis von eher kurioser Art war unsere Begegnung mit der Nationalmannschaft von Kuwait. In den Sommerferien kam ein Anruf und die Anfrage, ob wir bereit seien, in unserer Halle gegen die Florett-Nationalmannschaft von Kuwait zu fechten. Natürlich waren wir bereit trotz in der Ferienzeit eigentlich geschlossener Halle und Mangel an Florettfechtern. Die waren in Urlaub und schwer zu mobilisieren. Es gelang aber eine Florettmannschaft zusammenzustellen unter Einbeziehung eines Fechters vom Mainzer Fechtklub. Die Jungs aus Kuwait, alle so zwischen 15 und 20 Jahre, fochten hervorragend und besiegten unsere ersatzgeschwächte Mannschaft.
Es stellte sich heraus, dass sie im Rhein-Main-Gebiet auf Trainingstour waren mit großem, festangemietetem Reisebus inklusive Fahrer. Sie wohnten einige Wochen in einem Spitzenhotel und versuchten, jeden Tag mit einem anderen Verein zu fechten. Geld spielte offensichtlich keine Rolle und die Jungs mit den dicken Rolexuhren, die wir anschließend zum "Bürgerhof" einluden, tranken dort brav ihre Cola.
Die weiteste Reise der Fechtabteilung ging nach Louisville/Kentucky. Wir wussten nicht, dass es in dieser Mainzer Partnerstadt Fechter gibt bis die Mutter einer Fechterin als Mitglied des Freundschaftskreises Mainz/Louisville dort einen Kontakt herstellte, der dann zu einer Einladung führte. Die Einladung war zwar an TGM-Fechter gerichtet, wurde aber von uns auf den Mainzer Fechtklub ausgedehnt - die
Fechtabteilung des TV 1817 Mainz bestand zu dieser Zeit nicht.
Gemeinsam mit den Mainzern flogen wir mit 27 Personen in die USA. Unsere Gastgeber gaben sich sehr große Mühe bei der privaten Unterbringung und Verköstigung. Man zeigte uns viel vom Land und es wurde viel gefochten. Sehr überraschend war, dass wir anlässlich eines Einladungsessens im Deutsch/Amerikanischen-Klub mit unserem OB Beutel zusammentrafen, der zufällig seinem Amtsbruder einen Besuch abstattete. Ein geplanter Gegenbesuch der Amerikaner konnte von dort aus allerdings nicht organisiert werden. Ein Treffen wurde mehrmals verschoben und letztlich war es ihnen zu teuer.
In allen Vereinen des Landesverbandes hatte man immmer wiederkehrend Auf- und Abwärtsentwicklungen bei den Mitgliederzahlen. Einige Vereine lösten sich auf und die Landesmeisterschaften verdienten nach inzwischen durchgeführter Aufsplitterung in männlich zbd weiblich mit jeweils drei verschiedenen Waffen und einer Unzahl von Altersgruppen den Namen nicht mehr. In manchen Waffen oder Altersgruppen war die Konkurrenz wegen geringer Beteiligung so klein, dass man von Meisterschaft nicht mehr sprechen konnte.
Aus diesen Gründen ergab sich daher für mich die Frage der Existenzberechtigung des Landesverbands. Eine Zusammenlegung mit einem angrenzenden Landesverband erschien sinnvoll; in unserem Fall mit der Pfalz. Meine Anregungen trafen jedoch auf Widerstand bei einzelnen Vereinen der Pfalz. Diese fürchteten Konkurrenz und Nachteile bei der Quote zur Teilnahme an Deutschen Meisterschaften. Auch in unserem Verband war ein Verein dagegen. Er wollte die Selbstständigkeit und vermutlich auch die diversen Positionen im Verbandsvorstandbehalten. Es dauerte daher einige Jahre bis es mir 1993 gelang, eine Mehrheit für die Auflösung und den Zusammenschluss mit der Pfalz zu finden.
Das Leben in der Fechtabteilung ging über die Jahre auf und ab. Zeitweise war der Fechtbetrieb fast zum Erliegen gekommen und nur einige Unentwegte noch dabei. Ich hatte mich zurückgezogen in erster Linie berufsbedingt, wie zunehmend andere auch. Immer wieder stellte sich die Frage nach der Abteilungsleitung. Auf Walter Becker folgte Günther Haug, dann ich und anschließend mein Bruder Herbert und dann wieder ich. Mit ihm und einem weiteren Fechter verabredeten wir untereinander, die Fechtabteilung wieder zu beleben. Leider starb mein Bruder wenige Wochen danach bei einem Unfall und der andere Fechter sprang ab. Die meisten Fechterinnen und Fechter der ersten Jahre hatten bis dahin aufgegeben und ich fand mich plötzlich allein mit ca. 15 Anfängern. Ich sah mich dann verpflichtet weiterzumachen.
Der gesellschaftliche Wandel zeigte in den 90er Jahren negative Auswirkungen bei vielen Sportvereinen. Die jungen Leute blieben nicht mehr wie früher am Ort. Sie zogen weg zum Wehrdienst, zu Ausbildung oder Studium und es gab allgemein weniger Kinder. Nachwuchs war dadurch dringend erwünscht.
Werbung für Fechten durch Vorführungen in Schulen führte zur Bildung einer ansehnlichen Gruppe von Kindern ab 8 Jahre. Meist waren es Jungen. Man konnte schnell erkennen, dass die Kampfsportart Fechten für die meisten Mädchen in diesem Alter nicht so attraktiv ist.
Mit Kindern nahm die Abteilung wieder Aufschwung; allerdings in sehr veränderter Form. Für die Trainingsarbeit mit vielen Einzellektionen wurden jetzt mehr Übungsleiter benötigt, die dann auch weitgehend zur Verfügung standen. Es gab aber dadurch kaum noch sportliche Leistungsträger, auf deren Vorbildfunktion für den Nachwuchs man eigentlich nicht verzichten kann, denn sie hatten kaum noch Zeit für eigene Aktivitäten. Neu war beim Sportbetrieb mit Kindern, dass plötzlich Außenstehende einbezogen waren - in diesem Fall die Eltern - und eine gewisse Anonymisierung eintrat. Viele Eltern brachten ihre Kinder zum Training, holten sie wieder ab und das wars. Eine Gemeinschaft außerhalb des Sports war weitgehend verloren gegangen.
Das von uns entwickelte und inzwischen traditionelle Anfängerturnier, das unter dem Namen "Karottenturnier" in der Umgebung bekannt ist, wird weiterhin ausgerichtet. Viele Vereine schicken regelmäßig ihren Nachwuchs, damit er erstmalig Turnierluft schnuppern kann. Die früheren internen Vereinsmeisterschaften mit Wanderpreisen wurden zu "Offenen Mainzer Stadtmeisterschaften" mit gutem Zuspruch der Vereine der Umgebung und angrenzender Landesverbände.
Auch die Fechtabteilung blieb über die Jahre von Auf und Ab in der Entwicklung nicht verschont. Zeiten besonderer Aktivität wechselten mit Schwäche, und so wird dies auch bleiben. Mir bleibt nur zu wünschen, dass zukünftig immer wieder an Fechten interessierte junge Leute nachwachsen, die bereit sind sich für die Fechtabteilung einzusetzen als Übungsleiter, bei der Organisation, als Begleitung zu Turnieren, bei der Arbeit im Verein, im Landesverband und im Umfeld rund um den Sport.
Mainz-Gonsenheim, im Januar 2010
Gernot Dietz